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Philip
Jeck
Vinyl Coda IV
CD |
Die entfesselte Materialität
der Klänge:
Kein Knacksen ist wie das andere. Jenem altvertrauten Werkstoff Vinyl
erwächst in der Welt des Briten Philip Jeck eine Wirklichkeit jenseits
dessen, was bislang so kunstfertig in dieses Industriematerial eingeschrieben
war. Seine scheinbaren Nachteile - das Knistern, das Knacken, das aus
einer sehr verletzlichen Oberfläche kam - werden von Philip Jeck
zu einem Vorteil umgewandelt. War das Oberflächengeräusch bislang
nur störende Akzidenz, wird sie jetzt zum Eigentlichen. Philip Jeck
gestaltet mit geradezu alchimistischer Fertigkeit aus diesem Klangmaterial
grammophone Kunst, er inszeniert die Entfesselung des tönenden Materials
wobei jetzt die Oberfläche selbst zu sprechen beginnt. Geschickt
führt Philip Jeck den Hörer von der abstrakten, ausgefeilten
Komposition zurück zu einer Apotheose des reinen Material-Charakters
der bearbeiteten Singles und Langspielplatten. Natürlich sollte man
ihn gesehen haben, wie er sorgsam die Nadel des Tonarms in die verletzliche
und vernarbte Oberfläche des Vinyls versenkt, bedächtig zwischen
seinem Dutzend mikrophonierter Kofferplattenspieler hin und her geht.
Fast vermeint man zu SEHEN, wie sich die Klangschichten übereinander
legen und das Vinyl langsam das Geheimnis seiner widerständig tönenden
Stofflichkeit preisgibt. Doch das Erstaunliche ist, daß Philip Jecks
durchkomponierte Vinyl Codas, von der jetzt Teil vier vorliegt, auch ohne
diesen visuellen Reiz ihrer Entstehungsweise faszinieren. Eher verdichtet
sich noch der hypnotische Zauber dieser grammophonen Kunst, die das grobe
Knistern, die fein verfremdete Klangspur und das plötzlich aufscheinende
Songfragment zu Collagen verdichtet, die nur vage noch von ihren eigenen
Rissen und Schnittstellen besessen ist: ein langsam wogendes Meer der
Klänge. Der Konsens-Beat als großer Gängelmeister des
Pop interessiert Philip Jeck herzlich wenig. Ihm liegt der unerhörte
Klang am Herzen, das frei delirierende Spiel der Fragmente, die einander
magnetisch anziehen und abstoßen. Immer wieder verschiebt sich die
Bedeutung, lenkt Jeck die Aufmerksamkeit vom erkennbaren - und meist ironisch
verfremdeten - Musikfragment zurück auf den Sound einer in der einen
Rille schleifenden Nadel. Bei Philip Jeck gibt es keinen Antagonismus
mehr von Vorder- und Hintergrund, von Klang und seinem Medium: Er inszeniert
vielmehr ein Spiel andauernder Perspektivwechsel, die mal das eine, mal
das andere nach vorn rücken. So enthüllt sich die musikalischer
Form als fortschreitender, unabschließbarer Prozeß, der sich
in jedem Moment neu seines angenommenen Zentrums entledigt. Mal gleichen
seine Stücke verführerischen Meditationen über die Natur
der Wahrnehmung, dann wieder erzählen sie von der rauschhaft suggestiven
Kraft, die aus der anhaltenden Spannung zwischen tönender Abstraktion
und Materialentfesselung entsteht: Reflexionen über den Ton und seinen
Träger.
Harry Lachner
Komponiert und aufgeführt
von Philip Jeck
Toningenieur: Stefan Briegel, Marko Kaminsky
Regieassistenz: Christiane Klenz, Anja Scheifinger
Produzenten: Herbert Kapfer, Barbara Schäfer
Liveaufnahme: 13.04.2000, Bongo Bar, Kunstpark Ost, München
Sendung: Bayern2Radio, München
Produktion: Bayerischer Rundfunk / Hörspiel
und Medienkunst
intermedium
rec. 008
ISBN 978-3-939444-09-1
CD nicht mehr lieferbar
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