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Thomas
Harlan
Die Akte Rosa Peham
CD |
"hier mein Photo,
strahlend zwölf, dreizehn, mein altes, mein Ebenbild, mein Matrose,
mein Anzug, meine Bänder, meine blauen zwei, die flatternden, meine
Mütze, meine goldene, meine geliebte, meine Ausnahme, mein Adler
meiner Reichskriegsmarine, meine Rauten, Litzen, silbernen Winkel, meine
stolzen, meine angenähten, an Oberarmen, über Schultern, meine
Kordel, mein geflochten rot-weiß herabhängendes Etwas des Führers
der Rotten, des Fähnleins zur See, meine See, meine dunkle, marineblaue,
meine hitlerjugendliche, meine Fahrt, Fracht, meine Meilen, mein Seefunk,
mein Beben, mein Blick, Gang": Bilder aus seiner Kindheit in Nazideutschland.
Der Autor ist Thomas Harlan, geboren 1929. Der zeitliche Rahmen des Romans
"Rosa" und des Hörstücks "Rosa – Die Akte
Rosa Peham" erstreckt sich von 1942 bis 1993 und spielt mit verschiedenen
Erzählebenen. Dokumente, Briefe, Phonoaufnahmen, Berichte und Verhörprotokolle
geben in atemlosem Stakkato ungeheuerliche Geschehnisse preis.
"Rosa" hat eine lange Entstehungsgeschichte. "In den frühen
sechziger Jahren stieß der Autor Thomas Harlan bei Recherchen über
Kriegsverbrechen in Polen auf Gerüchte über das Dorf Kulmhof,
an dem die Deutschen die Technologie des Massenmords mehrmals erprobten.
Dreihunderttausend Menschen sind dort ermordet worden. Der Ort selbst
hat sich nicht verändert; herausgerissen aus der Indifferenz des
Irdischen, wuchs an ihm ein Urwald gleich einer Metaphysik des Erinnerns",
bemerkt Steffen Kopetzky in der Süddeutschen Zeitung über Harlans
"Rosa". "Der Text ist wie der ewige Moment eines präzisen
Albtraums".
Harlans "Rosa" ist das Gegenteil einer Bilanz und alles andere
als ein Fazit, der Text ist ein sprachlich-gedankliches Ringen mit einem
ungeheuerlichen Stoff, mit einer Landschaft des Verbrechens: "Dort
eben, wo im Herbst Steinpilze so groß wuchsen wie Hüte, sah
der Waldgänger von der Atemnot des Bodens nichts; die schnellen,
fast wütenden Luftzüge, die durch die saure Erde nach außen
drangen, hörten nur Eingeweihte, die ihr Ohr an das Moos legten,
und, wenn niemand zugegen war, den Geräuschen lauschten, die sie
an Schallwellen leerer, rauschender Schneckenhörner erinnerten, und
ihnen Angst einflößten."
An diesem Ort, in Chelmo (Kulmhof) wurden in den Jahren 1941 und 1942
Leichen vergaster Juden in Massengräbern im Wald verscharrt. Als
sich die Gräber hoben und zu stinken begannen, grub ein Kommando
die Leichen wieder aus, verbrannte sie und zermörserte die Knochen
zu Mehl.
In einem Erdloch bei Kulmhof hausen die Kollaborateurin Rosa Peham und
Józef Najman. Rosa ist die ehemalige Verlobte von Franz Maderholz,
dem Zahlmeister des Kulmhofs. Die Asche der Opfer füllt den Boden
der Lichtung, die seit Kriegsende Rosas Heimstatt ist. Franz ist bei der
Partisanenbekämpfung in den Karstgebirgen vor Triest verschollen,
Rosa hat sich 1948 mit Józef liiert, seine Vergangenheit ist dunkel.
Über die erste Begegnung mit den Figuren Rosa und Józef berichtet
der Ich-Erzähler:
"Durch den tobenden Schnee zog sich eine Rauchfahne: Dünn und
kaum von den Flocken zu unterscheiden, wehte sie am Ende der Grabstelle
(...) hoch in die Luft ihre Kringelchen und entpuppte sich. Und lange
noch, Blitz und Gewitter im Rücken und das stille Kriegsrecht, das
auch beim Stampfen durch Neuschnee allen immer noch im Genick saß
wie ein Verbot, sich zu rühren, folgten wir der Rauchsäule,
die sich immer weiter vor uns und dann bis zur Unsichtbarkeit wegen der
Wehen zurückzog, bevor plötzlich ein Pferd auftauchte, schneeweiß
auch das Pferd, riesig, Leib und Hüftbacken vor uns mit abgetrenntem
Schweif, ein Schimmel, eine Stute, die, am Ofenrohr, das aus der Schneemiete
schoss, mit einem Seil vertäut als Wächterin, so schien es,
vor einer Öffnung stand, welche direkt abwärts in die Erde führte
zu Józef."
Der Dokumentarfilmer als Romanautor: Harlans elektrisierende Prosa arbeitet
die eigene Geschichte ab. Der Name des Vaters, des Filmemachers Veit Harlan
("Jud Süß") findet keinen Eingang in den Roman. Doch
die Nähe zur Macht ist wesentlicher Bestandteil der Kindheitserinnerungen
des Ich-Erzählers:
"Einsteigen in den schwarzen Horch; Chauffeur ein Frauenheld der
Luftwaffe. Wortloses Fahren (nur mit dem Wort "Überraschung
für dich", kaum gemurmelt) über Königsallee, dann
Kaiserdamm, Siegessäule, Linden, Unter den, in die Leipziger Straße,
wo schon Personal lauerte (?), Verkäufer, Verkäuferinnen, der
Personaldirektor des Kaufhauses Wertheim warteten und das Geschäft
geöffnet hielten (?), den mächtigen, sechsstöckigen Koloß,
in Licht getaucht schon von weit, und, dann über die leere Nachtstraße
samt all der finsteren, kümmerlichen Reste einer ansonsten schlummernden
Gesellschaft, die zu dieser Zeit ohne Fliegeralarm unterwegs war: Hunde,
Bettler gab es nicht mehr, Milchmänner, Müllmänner, Fässer
tragende Bierwagenmänner unversehens ins Tageslicht gestürzt,
um schließlich dann, rasend, wie Blaulicht, stoppend, Josef, der
ihnen, nur wegen mir, ich wußte es, ich war stolz, einen Schreck
in die (morschen, dachte ich) Knochen hatte fahren lassen, den sie allesamt
wohl nie vergessen würden. (Mich.) Ich dürfte mir bei "Märklin"
aussuchen, was ich wollte. Ich wollte die 00-Miniatureisenbahn. Drei Lokomotiven.
Fünf Schlafwagen. Zwanzig Viehwagen. Ein rollendes Gefängnis.
Brücke., Bahnhof (x 2). Loren. Gebirge; zu überwindende Flüsse;
soldatenähnliche bleierne Bahnhofsvorsteher, Schaffner, Bahnarbeiter
in Kunstharz, bunt, Sankt-Gotthard-Paß, groß, hoch wie mein
Zimmer. Ich wollte ein Zimmer, aber sagte es nicht. Josef sprach mit Adjutant,
herbeizitiert inzwischen, verschlafen. Ohne Adjutanten sprach Josef nicht
mit Volk. Für Volk, Kaufhausetagenchef, übersetzte Schubert.
Dann Heimfahrt, Lichter aus, hinter mir. Am nächsten Frühmorgen
Latein. Das Gestapoauto, das in unregelmäßigen Abständen
die Fehltritte des Ministers beobachtete, stand Ecke Königsallee,
schwarz und still wie immer. Josef lachte es aus. Scherze waren erlaubt.
Heute schlief er bis zwölf. Als ich heimkam, war mein Geburtstag.
Das Bild auf dem Tisch, in Weihnachtspapier, war in Silber eingerahmt,
echtes, schweres, breit wie eine Hand. Auf dem Foto stand: Meinem lieben
Tommy. Dr. Goebbels."
So scharf Sequenzen der Kindheit in Harlans "Rosa" aufblitzen,
so komplex, schwer durchdringlich und ausufernd präsentiert sich
das Erzählte in seiner Gesamtheit. Harlans Darstellungen schließen
nicht ab, sie sind Prozesse, bilden Stränge um Ereignisse, die von
dunkelster Vergangenheit in die Jetztzeit führen. Vergangenes?
"Die Geschichte endete, bevor sie anfing. Daß zwischen Anfang
und Ende nichts lag, nicht einmal Stille, und daß diese Abwesenheit,
möglicherweise sogar von Schmerz, irgend etwas anderes als nichts
sein könnte, wunderte nur jene, die noch nie eine Geschichte erzählt
hatten, ohne zu fürchten, daß alle Wörter, derer sie habhaft
geworden sein mochten, an ihrem Inhalt vorübergegangen, und dort,
wo sie, über dem Abgrund stehend, wie auf Klippen und in schwindelnder
Fallhöhe von der Tiefe angezogen, erstorben waren an ihrem Unvermögen,
den Sturz ins Leere zu wagen".
Herbert Kapfer
Text: Thomas Harlan
Bearbeitung: Michael Farin
Komposition: Helga Pogatschar
Stimmen: Karin Anselm, Sophie von Kessel, Axel Milberg, Bernd Moss, Heiko
Raulin, Manfred Zapatka
Toningenieur: Hans Scheck
Schnitt: Susanne Herzig
Regieassistenz: Anja Scheifinger
Pre Production: Andrea Fenzl
Design: Daniel Kluge
Aufnahmeleitung: Christiane Klenz
Regie: Bernhard Jugel
Produzenten: Herbert Kapfer / Barbara Schäfer / Angela di Ciriaco-Sussdorff
Produktion: Bayerischer
Rundfunk / Westdeutscher Rundfunk 2001
intermedium
rec. 011
ISBN 978-3-939444-12-1
Wenige Restexemplare
30.– €
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