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1963 erfand der Prager Künstler Milan Knizak mitten in der Diktatur des Proletariats etwas, das er Broken Music nannte: Weil er nur wenige Schallplatten hatte, spielte er sie immer und immer wieder ab, bis es ihm zu langweilig wurde. In kompositorischer Absicht ließ er sie langsamer und schneller laufen, verkratzte sie absichtlich. Ab 1965 zerbrach er das Vinyl, durchbohrte, beklebte es, oder leimte die Stücke anders zusammen. Man kann sie zerschneiden, zerstückeln, wieder neu zusammensetzen ... Joghurtbecher mit Nadeln kann man auch zum Abspielen benutzen. (Claus van Bebber) Die Klebenaht schuf neue Rhythmen zwischen kontrastierenden melodischen Elementen. Knizak übermalte Platten, vergipste sie, verschmorte sie. All die Vinylartefakte spielte er ab und zeichnete den Vorgang auf. Auf Knizaks Spuren
trafen sich zwei zum ersten Mal, die dem Postulat Laszlo Moholy-Nagys
über Neue Gestaltung in der Musik - Möglichkeiten des Grammophons von 1923 beträchtlich nahe kommen: ...aus dem Grammophon als aus
einem Reproduktionsinstrument ein produktives zu schaffen, so, dass auf
der Platte ohne vorherige akustische Existenzen durch Einkratzen der dazu
nötigen Ritzschriftreihen das akustische Phänomen selbst entsteht. Philip Jecks Plattenspieler - mehrere Hundert besitzt er - sind vom Flohmarkt. Sie heißen Pye, Bush, Philips, Ferguson, Fidelity oder Dansette, haben einen eingebauten Lautsprecher und vier Geschwindigkeiten. Keiner hat mehr als fünf Pfund gekostet. Diese Plattenspieler - niemand sonst will sie haben. Ich bin der einzige, der sie alle sammelt, soweit ich weiß. Ich habe sie bemalt und Sachen mit ihnen angestellt. Sie sind jetzt noch weniger wert, als bevor ich sie kaufte. Ich recycle diese Sachen und gebe ihnen ein anderes Leben. Das verbindet die beiden: sie werfen nichts weg. Auch Claus van Bebber, der seine Performance Schallplattenkonzert nennt, hat auf seinem niederrheinischen Bauernhof Scheunen voller Material: Schon früh war ich Sammler von allen möglichen Gegenständen und gerade die Künstler, die mit vorgefundenen Materialien arbeiteten, waren mir immer die Liebsten. Fluxus und Dadaismus haben mich und meine künstlerische Arbeit stark geprägt und beeinflusst. Ihr gemeinsames Klangideal ist das Gegenteil von Hi-Fi. Jecks Effektgeräte sind billig: ein kleines Echopedal und ein Spielzeug-Sampler, der anderthalb Sekunden Klang speichern kann. Sie dienen dazu, den Klang noch weiter zu verwischen, weitere Schichten von Wiederholungen über die Schleifen der Platten zu legen. Van Bebber benutzt Wah-Wah-Pedale und Verzerrer für E-Gitarristen, um die Signale seiner Kristalltonabnehmer weiter zu modifizieren. In dieser ersten Begegnung zweier Künstler der Broken Music, die beim Medienkunst-Festival intermedium 2 stattfand, verschmelzen Medium und Botschaft: Low-tech gerät zum bewegenden Nachruf auf die untergegangene Welt des Vinyls, jenes Werkstoffes, dessen vielfältige Störgeräusche für eine Ära der Überschaubarkeit standen. Wo gehen wir hin? .... Nicht so neugierig, kleiner Piccolo! Zuerst einmal auf die andre Seite der Platte. (Andre Popp: Piccolo, Sax & Co) Ulrich Bassenge intermedium
rec. 015
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