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Rolf Dieter Brinkmann

The Last One

CD

Autorenlesungen
Cambridge Poetry Festival 1975
Herausgegeben von Herbert Kapfer
Produced by: BR Hörspiel und Medienkunst 2005

Erscheint parallel zu der 5CD-Box "Wörter Sex Schnitt.". Als limitierte Erst-
auflage sind die beiden Veröffentlichungen im Paket (ISBN 3-934847-48-X) erhältlich.


The Last One
Rolf Dieter Brinkmann liest Westwärts 1 & 2

Gerade habe ich nach England geschrieben wegen eines Cambridge International Poetry Festivals im nächsten Jahr, im April, wozu man mich eingeladen hat und wohin ich fahren werde und meine neuen Gedichte vortrage, eine hübsche Vorstellung für mich, meine Gedichte woanders vorzulesen als hier – schrieb Rolf Dieter Brinkmann am 2. August 1974 an seinen Freund Hartmut Schnell in Texas: Zu dem Festival kommen auch zwei Amerikaner, die ich sehr gut finde und deren Sachen ich gerne gelesen habe, John Ashbery und Edward Dorn, aus England Lee Harwood, ein Dichter in meinem Alter. Wie ich zu dieser Einladung gekommen bin, weiß ich nicht. Ich war ganz erstaunt, als ich sie vorige Woche bekam.
Die Einladung bezog sich auf das erste Cambridge Poetry Festival, das im April 1975 stattfinden sollte – in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu einer neuen Veröffentlichung Brinkmanns: Der neue Gedichtband Westwärts 1 & 2 sollte im Mai 1975 im Rowohlt Verlag erscheinen. Es sollte die erste Veröffentlichung seit 5 Jahren werden. Brinkmann plante, einige Gedichte beim Festival in englischer Sprache zu lesen und bat Hartmut Schnell um Übersetzungen. Andere englische Fassungen, die Rolf Dieter Brinkmann vortrug, wurden von A. Leslie Willson und Christopher Middleton übersetzt.
Brinkmann reiste nach Cambridge. Er wohnte bei John James. Das internationale Cambridge Poetry Festival, zu dem zahlreiche Lyriker aus verschiedenen Ländern anreisten, fand von Donnerstag, den 17. bis Montag, den 21. April 1975 statt. Für diese Zeit verwandelte sich Cambridge in einen Ort mit Lyriklesungen, Diskussionen, Filmvorführungen, Vorträgen, Buchausstellungen und Signierstunden, Musik und Tanz.
Rolf Dieter Brinkmann hatte zwei Lesungen. Am Samstag stellte er sich vor, mit John Ashbery, Lee Harwood und John James. Am Sonntagnachmittag las er bei der Veranstaltung Contemporary German Poetry, mit Erich Fried, Michael Hamburger, Reiner Kunze und Jürgen Theobaldy.
Brinkmanns Lesungen vom 19. und 20. April 1975 werden hier unter dem Titel The Last One veröffentlicht. Brinkmann stellt sich in englischer Sprache vor. My name is Rolf Dieter Brinkmann. I am coming from Cologne and Cologne is a dark industrial city. Der Zuhörer ist schnell im Bann dieser schwingenden kraftvollen und fordernden Stimme. The beautiful simplicity is a dream. Brinkmann hat – wie man auf dem mitgeschnittenen Band hört – das Publikum vom ersten Augenblick an auf seiner Seite, schon bevor er seine Gedichte liest. There was a hipster on the plane: Er zitiert einleitend den amerikanischen Songwriter Loudon Wainright III, um dann mit dem Gedicht "Hearing the news today" zu seiner eigenen poetry zu kommen. Die Stimme, die wir hören klingt nicht nach einem, der sich fünf Jahre lang aus dem literarischen Leben zurückgezogen hatte. Er erkundete in dieser Zeit die Sprache, das Gefühl, das Schreiben eines zweiten Romans, reiste nach Montpellier, Longkamp, Husum, Rom, Olevano, Graz, Austin in Texas und schrieb weiter.
Er collagierte, sammelte, schrieb Beobachtungen, Notizen, Tagebücher, legte Materialalben an. Gleichzeitig arbeitete er an Gedichten, sammelte sie in umfangreichen Mappen, aus denen nach fünf Jahren der Gedichtband Westwärts 1 & 2 entstehen sollte. Dem Publikum in Cambridge stellte er diese Gedichte vor.
The Last One. Auf seiner Rückreise aus Cambridge nach Köln war Brinkmann mit Jürgen Theobaldy in London. Er wollte dort im Rhine Hotel übernachten. Am Abend ereignete sich der tödliche Unfall: Beim Überqueren der Westbourne Grove im Stadtteil Bayswater überfuhr ihn eine schwarze Limousine. Es war der 23. April 1975.
Der Gedichtband Westwärts 1 & 2 erschien im Mai 1975.

© Maleen Brinkmann

 

Brinkmann recorded

Vor acht Jahren erzählte mir Maleen Brinkmann, die Witwe Rolf Dieter Brinkmanns, von einem Tonband mit einer Lesung des Autors, aufgenommen beim ersten internationalen Cambridge Poetry Festival, wenige Tage vor seinem tragischen Unfalltod in London am 23. April 1975. Brinkmann las in deutscher Originalsprache und englischer Übersetzung eine Auswahl seiner Westwärts 1 & 2-Gedichte und einige andere Gedichte. Unter dem Titel The Last One wurde dieses Band in der Sendereihe readytapes am 31. Januar 1997 im Programm Bayern2Radio des Bayerischen Rundfunks erstmals ausgestrahlt.

In diesem Gespräch damals erwähnte Maleen Brinkmann auch weitere Bandaufzeichnungen; es handelte sich um von Brinkmann besprochene Bänder, also Texte, die zum großen Teil ausschließlich auf Band aufgezeichnet, nicht in Papierform existierten. Jetzt präsentiert intermedium records neben The Last One mit Brinkmanns letzten Lesungen eine auf 5 CDs angelegte Edition mit dem Titel Wörter Sex Schnitt: es ist Brinkmanns akustischer Nachlass – Tonbänder, aufgenommen in Köln 1973 (intermedium rec. 023).

Heute ist Rolf Dieter Brinkmann, der nur fünfunddreißig Jahre alt wurde, in der Literaturgeschichte als Lyriker kanonisiert. Postum wurde ihm der Petrarca-Preis verliehen. Erstausgaben seiner Gedichtbände – wie etwa Die Piloten, Godzilla oder Standphotos – sind begehrte antiquarische Suchobjekte. Im Frühjahr 2005 erscheint bei Rowohlt eine Neuausgabe des Gedichtbandes Westwärts 1 & 2 an.
Es ist unstrittig, dass Brinkmann – auch in Zusammenarbeit mit Ralf-Rainer Rygulla – die westdeutsche Rezeption der amerikanischen Beat-, Pop- und Underground-Literatur einleitete. Besonders berühmt sind die Anthologien Acid und Silver Screen, die 1969 erschienen. Im übrigen war Brinkmann immer ein umstrittener Autor, der sich, wenn überhaupt, mit Schriftstellern wie Karl Philipp Moritz oder Johann Carl Wezel in einer Tradition literarischer Außenseiter sah. Mit heftigen Attacken gegen den Staat, den Literaturbetrieb usw. handelte er sich nicht selten den öffentlichen Gegen-Hass ein. Noch heute verstellen mitunter Animositäten und Emotionen den Blick auf das Werk eines Autors, der in etlichen Genres und Medien literarische und künstlerische Entwicklungen vorantrieb. Der Status im literarischen Kanon hatte für Brinkmann, zumindest in seinen letzten Jahren, keine Bedeutung. Denn: Form heißt im Abendland immer Zwang, eine Stilisierung des Wahrgenommenen, Erlebten.

Seit den frühen 1990er Jahren hat der Bayerische Rundfunk immer wieder auf die Bedeutung von Brinkmanns Hörspielen aufmerksam gemacht. Harte Schnitte, ungezähmte Worte, Stimmen hört jeder: Auch wenn es nur wenige Produktionen sind – Pop-Hörspiel und Hörspiel-Pop in Deutschland sind ohne Brinkmann nicht denkbar. In den frühen 1970er Jahren entstanden beim Westdeutschen Rundfunk die Hörspiele Auf der Schwelle, Der Tierplanet und Besuch in einer sterbenden Stadt sowie ein Selbstportrait in der Reihe Autorenalltag. Der Bayerische Rundfunk produzierte 1995 das Hörspiel Schnitte, unter der Regie von Ulrich Gerhardt und mit einer Komposition von Klaus Buhlert. Ein Jahr später realisierte Ulrich Gerhardt im Bayerischen Rundfunk das Hörstück To a world filled with compromise we make no contribution nach einem Text, den Brinkmann in der Zeitschrift manuskripte veröffentlicht hatte.

Maleen Brinkmann, die sich im Zusammenhang mit den postumen Veröffentlichungen der Bücher Rom, Blicke (1979), Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand (1987) und Schnitte (1988) editorisch um Rolf Dieter Brinkmanns Werk verdient gemacht hat, eröffnete nun intermedium records und dem Bayerischen Rundfunk die Möglichkeit, Arbeiten einer bislang nur rudimentär bekannten Werkkategorie Brinkmanns zu veröffentlichen: die Tonbandaufnahmen.
Ist The Last One das letzte Audio-Dokument, das Brinkmann hinterlassen hat, so stellt die Edition Wörter Sex Schnitt experimentelle Aufnahmen aus dem Originalton-Raum vor.

© Herbert Kapfer

 

Cambridge 19. April 1973
1 My name is Rolf Dieter Brinkmann
2 "Hearing the News today"
3 Fotos 1, 2
4 PHOTOS 1, 2
5 Wo sind sie
6 WHERE ARE THEY
7 A Skunk
8 Schlesingers Movie
9 Not here
10 Well, somehow
11 From Walt Disney
12 PAVLOV’S HAMBURGERS
13 ONCE MORE THE COUNTRY SCENE
14 Nach Shakespeare
15 After Shakespeare
16 Night
17 AFTER CHUCK BERRY
18 Summer (from the American)
19 A DAY ON THE BORDER
20 A POEM

Cambridge 20. April 1973
21 Brief aus London
22 LETTER FROM LONDON
23 Rolltreppen im August

Übersetzungen:
A. Leslie Willson
Hartmut Schnell
Christopher Middleton
nicht eindeutig ermittelt        
Track:
16, 20
7-11, 13, 15, 18
4, 6, 17
12, 19, 22

Druckveröffentlichungen:
Die originalen deutschen Gedichte und das in englischer Sprache geschriebene Gedicht "Hearing the News today" sind in Westwärts 1 & 2 (Reinbek bei Hamburg 1975 / Neuausgabe: Reinbek bei Hamburg 2005), die den Übersetzungen Schlesinger’s Movie, Not here und From Walt Disney zugrundeliegenden Gedichte Schlesingers Film, Hier nicht und Von Walt Disney veröffentlicht in Was fraglich ist wofür (Köln 1967, auch in: Standphotos. Gedichte 1962-1970, Reinbek bei Hamburg 1980).

intermedium rec. 022
ISBN 978-3-939444-23-7
Wenige Restexemplare
30.– €

 

   
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