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Elfriede
Jelinek
Bambiland
3 CD Box |
Stimmen: Elfriede Jelinek, Marion Breckwoldt, Lukas Resetarits, Ilja
Richter, Helmut Stange
Musik: Freiwillige Selbstkontrolle
Elfriede Jelinek:
BAMBILAND
Ich weiß nicht ich weiß nicht. Setzen Sie sich so abgebundene
Strumpfkalotten auf die Köpfe, wie mein Papa sie immer zu seinen
alten Arbeitsmänteln am Bau von unserem Einfamilienhäuschen
getragen hat. Etwas Hässlicheres habe ich nie gesehen. Ich weiß
nicht, welche Strafe für welche Schuld Sie bekommen sollen, daß
sie so etwas Häßliches aufsetzen müssen. Strumpf abschneiden,
oben zubinden, daß so eine Art Bommel übrig bleibt, und dann
auf den Kopf setzen. Das ist alles.
Meinen Dank an Aischylos und die "Perser", übersetzt von
Oskar Werner. Von mir aus können Sie auch noch eine Prise Nietzsche
nehmen. Der Rest ist aber auch nicht von mir. Er ist von schlechten Eltern.
Er ist von den Medien.
Karl Bruckmaier:
WIR BAUEN EINEN TURM
In Zeiten, in denen BILD mit dem Wort "Wahrheit" Werbung treiben
darf, ohne dass die Auslieferungslastwagen brennen, ist mit der Wahrheit
nicht mehr viel Staat zu machen. Da ist ein letzter Damm gebrochen: ein
Medien-Tsunami hat uns überspült und wir haben gar nicht gemerkt,
dass wir hirntot sind. War man vor nicht allzu langer Zeit vielleicht
noch begeisterter Befürworter dieser Unterspülung des Gemeinwesens,
ist es an der Zeit anzuerkennen, dass man die Arschgeweihkarte gezogen
hat in einem Spiel, das keines mehr ist. Nach dem Verschwinden der europäischen
Großideologien des 20. Jahrhunderts und der Lemuren, die sie repräsentierten,
ist keine Phase der Menschlichkeit eingekehrt, sondern eine auf Frucht
basierende Hetzjagd hat begonnen auf jegliche Errungenschaft der Menschengemeinschaft,
die mit Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zu tun haben könnte.
Der neue, der anonym wirkende Zerberus namens Globalisierung treibt uns
gleichmütig, aber bestimmt in Richtung einer ökologischen ökonomischen
und seelischen Verarmung, in einen Zustand finstersten Nihilismus’;
eine seiner Geißeln heißt Fernsehen, genauer: Privatfernsehen,
das so tun muss, als gebe es den Leuten - ganz privat - nur das, was sie
ohnehin haben wollen, in Wahrheit aber raubt und plündert es Herz
und Verstand seiner Kundschaft aus in Diensten anonym bleibender Wirkmächte.
Einen neuerlichen Tiefpunkt in Sachen Willfährigkeit erreichten die
Medien während des zweiten Golfkriegs und des darauf folgenden Unfriedens.
Und weil Wegschauen nicht mehr hilft, hat Elfriede Jelinek für uns
hingeschaut. "Für uns" heißt: für die paar Hanseln
und Greteln, die sich inmitten der Sturmflut für Minuten oder Stunden
irgendwo festklammern können, um von diesem vermeintlichen Punkt
der Ruhe aus das vorbeitreibende Monster zu betrachten oder zu beschreiben.
"Für uns" also hat sie aufgeschrieben, was der "slime
oozing out of my TV set" anrichtet, hat geordnet nach Regeln der
Sprachspielkunst, hat Aischylos bemüht und CNN, hat das Stück
„Bambiland“ genannt, weil das Bambi so lieb ist, dass alle
hinschauen, wenn es so dasteht und "Blutwurst" sagt –
und weil der Vergnügungspark von Milosevic junior so hieß;
sie hat sich extra den Nobelpreis verleihen lassen, damit mehr aufmerken
- aber nichts hat geholfen. Sie selbst scheint sich nicht mehr zu helfen
zu wissen. "Bambiland" wirkt nicht mehr so selbstsicher wie
etwa die Texte aus "Der Tod und das Mädchen" oder wie "Lust"
oder "Gier", so, als kröche auch einer Jelinek die Angst
am Körper empor. Bambi wankt, Bambi schwankt, Bambi möchte manchmal
beißen und schnappt ins Leere; die Flut zerrt auch an ihm und teilt
sich nicht mehr, wie man es gewohnt ist, vor der Jelinek-Prosa, scharf
in jedem Sinn des Wortes, die doch sonst durch die Wirklichkeit hindurch
geht wie die Messer durch die Butter: nevermore. Dabei könnte es
diese menschlich zu nennende Schwäche sein, welche die Größe
des Textes ausmacht. Der Champion, die Preisträgerin legt nach der
Nobelitierung kein Großwerk vor, liefert nichts Standbildhaftes
ab, ist nicht staatstragend – die Gefahr war eh immer gering –
und auch nicht salbungsvoll, sondern hin und her gerissen wie wir alle,
ob wir davon wissen oder nicht: Wir sind Bambi. Die Inszenierung von "Bambiland"
hat versucht, sich wieder in den Dienst des Textes dieser großartigen
Autorin zu stellen, an seiner Hörbarmachung und Anhörbarkeit
zu arbeiten und wir – Redaktion, Regie, Technik – haben uns
dafür zweier etwas aus der Mode gekommener Formen bedienen: des Liedes
und der Burleske. Denn nur was am Boden liegt, hält der Gegner für
so wertlos, dass er es uns noch lässt. Wenn auch widerwillig. Also,
alle Welt mitlachen und mitsingen, wenn es wieder heißt: Bild dir
eine Meinung. Ich geh nur kurz kacken.
intermedium
rec. 024
ISBN 978-3-939444-25-1
Wenige Restexemplare
30.– €
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