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intermedium
070 Redaktion:
Herbert Kapfer Mit:
Meret Becker, Nadeshda Brennicke, Katharina Franck, Hugo
Balls ungestümes, wild überbordendes Konvolut
TENDERENDA (im
Herbst 1914 begonnen, im Juli 1920 beendet) ist das »geheime
Vermächtnis« DADAs. Obwohl es den DADA-Aficionados
erstmals
1967 in Buchform zugänglich gemacht wurde, waren bereits zu
Lebzeiten Balls markante Teile dieses als »work in
progress« entstandenen Textes auf diversen
DADA-Soiréen
immer aufs Neue bühnenwirksam erprobt worden.
Am
Königsweg intermedium
069 Dramaturgie
und
Redaktion: Herbert Kapfer Am Abend, an dem Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, begann Elfriede Jelinek, ihr Stück Am Königsweg zu schreiben. Vor Trumps Amtseinführung hatte die Autorin eine erste Fassung des Textes abgeschlossen. Der Bayerische Rundfunk präsentierte seine Hörspielproduktion Am Königsweg als deutsche Erstinszenierung in zwei Varianten: Eine Fassung in drei Teilen, die in der Gesamtlänge von vier Stunden den ungekürzten Text ausbreitet, und eine eigenständige, das gesamte Material komprimierende Miniaturfassung, die, ebenfalls in drei Teile gegliedert, in 53 Minuten eine Königsweg-Abkürzung anbietet. Beide Fassungen liegen hiermit auf CD vor. Schon die Konstellation hier Elfriede Jelinek, dort Donald Trump verspricht einen Schaukampf: Auf der einen Seite die Literaturnobelpreisträgerin und Dramatikerin, die in ihren Werken ebenso sprachmusikalisch wie -analytisch die Inszenierungen politischer Macht und Verbrechen seziert und offenlegt, auf der anderen Seite ein skrupellos agierender Milliardär, Bauunternehmer und Skandalproduzent, der in einer jähen Wendung jene politische Rolle übernimmt, die ihn zum mächtigsten Mann der Welt werden ließ. Stimmen: Mechthild Großmann, Helga Fellerer, Kathrin von Steinburg, Peter Brombacher, Christoph Jablonka, Thomas Albus, Christian Gaul, Sebastian Weber, David Zimmerschied, Johannes Herrschmann, Katja Bürkle, Johannes Silberschneider und Elfriede Jelinek Musik: Sven-Åke Johansson / Elliott Sharp / Chor des Bayerischen Rundfunksund Akademie für Alte Musik Berlin Leitung: Howard Arman Ton: Michael Krogmann Technik: Susanne Herzig Tonmeister: Occasional Oratorio – Bernhard Albrecht Besetzung: Andrea Fenzl Regieassistenz: Stefanie Ramb Regie: Karl Bruckmaier
Die Schutzbefohlenen. Coda Lesungen von Elfriede Jelinek zu Elfriede Jelinek: Die Schutzbefohlenen intermedium
068 Produktion:
BR
Hörspiel und Medienkunst 2016 Da zittert was, das Boot, es zittert, das ist doch Zittern, oder?, nein, dafür gibt es noch ein andres Wort, nein, das paßt mir auch nicht, es wackelt, das Boot, es schwankt, wahrscheinlich weil Hermes und Athene nicht als Pinne im Kompaß eingebaut sind, zwischen ihnen zittert was, das Boot zittert vor Angst, nein, es schaukelt, weil diese Leute nicht ruhig sitzen können; kein Mann hält die Segel, Segel hat es keine, die wären aber praktisch, es hat noch Luft, das Boot, es wird sie auch brauchen, da ist noch Luft drinnen, aber nicht mehr lang. Da ist noch Luft nach oben, aber nicht mehr lang. Dann gehts nach unten, dann nehmen wir ein Bad. Der Körper wird zum Gedanken wird zum Körper, und der Gedanke verhält sich zu seinem Wirt wie die Schneide zum Messer. Gehts hier in den marmornen Wald mit steinernen Bäumen, wenn ja, dann wären wir gern hier, nein, hier gehts nach Griechenland zu den Göttern, womöglich kommen Sie nie hin, Sie und die Kameraden, bitte, das Boot ist wie ein, jetzt fällt es mir nicht ein, wie ein dicht bestecktes Nadelkissen in der Weiberwelt, voll will ich nicht sagen, ja, aber voll ist es trotzdem. Kein Nadelwald in der Nähe, den hat das Boot gemieden, das Wasser satter als Glas, aber unzerbrechlich, es teilt sich, es wächst zusammen, was zusammengehört, alles eins, Wasser eben. Nur die Menschen gehen kaputt, die hineinfallen. Zerbrechen können sie nicht, das Wasser nimmt sie auf, es nimmt die Menschen in den Schnabel, nein, Schnabel kann man nicht sagen, so wie man zittern nicht sagen kann, bitte, kann mir jemand neue Wörter hereinreichen, vielen Dank, Wörter marschieren, auch hier sind welche aufgeschrieben, die Küche ist eröffnet, nur zu essen gibt es nichts, nein, zu trinken auch nicht, ist Ihnen das denn nicht genug Wasser hier, wollen Sie etwa noch mehr?
Die Erfindung der
Roten Armee Fraktion intermedium
067 Bearbeitung:
Frank Witzel und Leonhard Koppelmann Gudrun
Ensslin, eine Indianersquaw aus braunem Plastik, und Andreas Baader,
ein Ritter in schwarzglänzender Rüstung –
so vermischen sich im Kopf des 13-jährigen namenlosen
Erzählers in Frank Witzels Roman Die Erfindung der Roten Armee
Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969
– die politischen Verwerfungen in der BRD des Jahres 1969 mit
seinen kindlich-spielerischen Fantasien.
Speicher intermedium 066 Redaktion:
Katarina Agathos / Herbert Kapfer Thematischer
und formaler Ausgangspunkt
für »Speicher« ist »VariaVision
– Unendliche Fahrt«, die 1965 realisierte, heute
verschollene intermediale Arbeit von Alexander Kluge (Texte), Edgar
Reitz (Filme) und Josef Anton Riedl (Musik) zum Thema des Reisens.
»VariaVision« versuchte als Rauminstallation durch
die gleichzeitige Vorführung und Wiedergabe von Filmen,
mehrkanaliger Musik und Sprache eine neue und andere Wahrnehmung von
Musik, Film und Text zu verwirklichen. Reitz und Kluge unterrichteten
damals an der internationalen Hochschule für Gestaltung (HfG)
Ulm, die in der kurzen Zeit ihres Bestehens zwischen 1955 und 1968
maßgeblich die deutsche und internationale Design-, Kunst-
und Mediengeschichte geprägt hat. Die HfG führte als
private Hochschule, getragen durch die Geschwister-Scholl-Stiftung, die
gewaltsam beendete Tradition des Bauhauses fort und definierte
für die BRD die Begriffe Moderne / Utopie / Gestaltung /
Alltagskultur / Erziehung / frühe digitale Kultur im Sinne
eines demokratischen und ästhetischen Neuanfangs in
Deutschland nach 1945, zwischen Utopien und Realitätssinn. So
befand sich in der Hochschule ab 1963 eines der ersten elektronischen
Studios in Westdeutschland, das 1959 in München
gegründete Siemens-Studio für elektronische Musik.
Das Studio mit seinem Versprechen von neuen, rein elektronisch
erzeugten Klängen, wurde seinerzeit sehr erfolgreich
international von Komponisten und Musikproduzenten genutzt, heute ist
es im Deutschen Museum München ausgestellt. Riedl realisierte
in diesem Studio die Musik für
»VariaVision«. Für
»Speicher« hat Michaela Melián das
Studio im Deutschen Museum München noch einmal zum Klingen
gebracht. Diese Klänge, Töne, Geräusche
wurden aufgezeichnet und bilden die klanglichen Basisbausteine
für »Speicher«. Dazu verschränkt
sie Aussagen und Texte zu Reise und Bewegung zu tönenden
Schleifen und Spiralen.
Klänge intermedium
064 Projektidee
und Redaktion:
Herbert Kapfer Als
»Klänge«
Von Wassily Kandinsky 1912 im Münchner Piper Verlag erschien
– Auflage: 345 Stück – ahnten weder Verlag
noch Öffentlichkeit, dass mit diesem schmalen Band mit seinen
Holzschnitten und 38 Prosagedichten als Bindeglied zwischen Epochen und
Stilen legendär werden sollte. Kandinsky selbst betrachtete
die entstandene Verknüpfung von Bild und Text als Befreiung,
Als Akt der Überwindung künstlerischer
Beschränkungen. »In der Vergangenheit wurde ein
Künstler stets schief angeschaut, wenn er sich schriftlich
auszudrücken suchte – als Maler hatte man sogar mit
dem Pinsel zu essen und so zu tun, als gäbe es keine
Gabel.« So wie sich Kandinsky in seiner Malerei Schritt
für Schritt von der Gegenständlichkeit entfernte, so
versuchte er parallel dazu in einer ihm eigentlich fremden Sprache die
oberflächliche Bedeutung der Wörter zu
überwinden, die Möglichkeit einer neuen Bedeutung,
die sich nur in Klang und Rhythmus des jeweiligen Wortes erschloss, zu
ergründen. Manches erinnert hierbei an die expressionistische
Dichtung der Zeit, doch geht Kandinsky oft auch einen Schritt weiter,
gelingen ihm Zeilen, die schon auf etwas verweisen, das bald Dada
heißen wird. Kein Wunder, dass Hugo Ball über
»Klänge« ins Schwärmen
gerät: »Niemand, nicht einmal die Futuristen, haben
die Sprache dermaßen ausgemistet.« Wenn Kandinsky
schreibt, können wir dem Maler beim Sehen zuhören
– so nahe kommen wir selten dem Schaffensprozess eines
bildenden Künstlers. Dies mag daran liegen, dass für
Kandinsky das Schreiben »bloß ein Wechsel des
Handwerkszeugs« ist: »Statt der Palette verwende
ich nun die Schreibmaschine. aber mein innerer Antrieb bleibt
derselbe.«
"The King
Is Gone" Des Bayernkönigs Revolutionstage intermedium
065 Redaktion:
Herbert Kapfer Die
Mitwirkenden: Tröööt.
Die Revolution bricht los, die „Hochzeitskapelle“
spielt Blasmusik, der letzte König ist traurig und packt seine
Zigarren. Irgendjemand singt die Internationale. Und Karl Marx bekommt
plötzlich doch recht: „Die letzte Phase einer
weltgeschichtlichen Phase ist ihre Komödie.“
Die wichtigste Quelle des Hörspiels ist ein obskures braunes
Heftchen eines gewissen Josef Benno Sailer, das 1919 – kurz
nach der Räterevolution in München –
erschien und von Carl-Ludwig Reichert in Erinnerung gebracht worden ist
(Herbert Kapfer / Carl-Ludwig Reichert: Umsturz in München.
Schriftsteller erzählen die Räterepublik.
München: Weismann 1988). Sailer schildert dem Volk
minutiös „Des Bayernkönigs
Revolutionstage“. Bei einem Spaziergang im Englischen Garten
wird der letzte bayerische König Ludwig III. von einem
freundlichen Untertan darauf aufmerksam gemacht, dass Revolution sei:
Der König möge sich lieber auf die Flucht vor der
Räterepublik begeben.
"Frequenzmoduliertes
Szenario" Erscheinungsjahr
2015 Herausgegeben von Herbert Kapfer und Joerg Franzbecker Mit
Beiträgen von Pauline Boudry / Renate Lorenz, Julian Doepp,
Heike Geissler, Herbert Kapfer, Christine Lemke, Hanne Loreck, Sven
Lütticken, Eva Meyer, Yigal Shalom Nizri, Annelie Pohlen,
Gerald Raunig, Hans-Rudolf Reust, Margit Rosen, Eran Schaerf, Felix
Stalder und Andrea Thal. Design: Flo Gaertner / Magma. "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien." Dass der Künstler und Hörspielautor Eran Schaerf zu denen zählt, die gerne diesen wohl berühmtesten Satz von Niklas Luhmann zitieren, wäre zunächst nicht unbedingt bemerkenswert. Doch wer sich mit Schaerfs Werk auseinandersetzt, könnte Luhmanns Diktum durchaus als einen möglichen Ausgangspunkt für das Projekt FM Scenario wählen und sich der Einschätzung annähern, dass der Künstler nicht weniger als die Realität der Massenmedien zum Gegenstand seiner Feldforschung erhoben hat. Voraussetzung
ist ein Verständnis von Massenmedien, das diese nicht auf
Programme und technische Verbreitungswege reduziert, sondern in den
Kontext gesellschaftlicher und sozialer Gefüge rückt:
Massenmedien stellen demnach, kurz gesagt, gesellschaftliche
Öffentlichkeit her und erfüllen Bedürfnisse
verschiedentlicher Orientierung. Eine umfassende Generierung und
Präsentation breiter publizistischer Angebote setzt die
Existenz sozialer und ökonomischer Organisationen voraus, die
sich unter Marktbedingungen stabil oder – konsequenterweise
kapitalistischem Gesetz folgend – expansiv behaupten
können. Diese Medienorganisationen erfüllen
einerseits einen gesellschaftlichen Funktionsauftrag, andererseits
verfolgen sie eigene ökonomische, strukturelle und politische
Interessen. (Herbert Kapfer). "FM-Scenario – Die Stimme des Hörers" (2012–2015) ist eine Produktion von a production e.V., Berlin und dem Bayerischen Rundfunk / Hörspiel und Medienkunst, in Kooperation mit Etablissement d'en face, Brüssel; Hartware MedienKunstVerein, Dortmund; Haus der Kulturen der Welt, Berlin; Les Complices*, Zürich; Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt und dem ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe. Das
Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.
"Kosmokoloss" Eine
Tragikomödie intermedium
063 1. Eine Tragikomödie über das Klima und den Erdball Aus dem
Französischen von Margit Rosen 2. Welche Kunst für welche Ökologie? Bruno
Latour im Gespräch mit Margit Rosen Die
Bewohner der Erde schlafen ruhig, denn sie haben nicht die geringste
Vorstellung von dem Planeten, auf dem sie sich befinden. Sie begreifen
nicht, wie sehr das, was sie für den festen Rahmen ihrer
Existenz halten, ins Taumeln geraten ist. Sie weigern sich, in
Erwägung zu ziehen, dass ihre Art, die Erde zu bewohnen zu
einer ökologischen Krise geführt hat, die vielleicht
nur ein kleiner Teil der Menschheit überleben wird. Kosmokoloss.
Eine Tragikomödie über das Klima und den Erdball
zielt auf diese Kluft zwischen der Größe dieser
Krise und der Fähigkeit der Menschen, sie wahrzunehmen, zu
fühlen und zu verstehen. Es ist dieser historische Moment der
Unsicherheit, in dem sich in einem imaginären Theaterzelt
Personen und Ideen aus der politischen Gegenwart und Geschichte sowie
Figuren aus der griechischen Mythologie, der heiligen Schrift und der
romantischen Literatur versammeln. Die Kontroverse entfaltet sich, als
die Erdbewohner aus ihren Träumen erwachen und sich
schwerfällig auf den Weg zu einer Baustelle machen, wo sich
der Umriss einer riesigen Arche gegen den Himmel abzeichnet: Gab es
nicht immer feuchte Sommer und milde Winter? Oder haben wir die
Rückkopplungsmechanismen der Erdoberfläche
unwiderruflich destabilisiert und Gaia wird uns ertränken wie
die Kätzchen? Wie sollen wir mit den Monstern umgehen, die wir
erschaffen haben? Was ist das Maß aller Dinge, wenn wir es
nicht mehr sind? Wie können wir abgesicherte wissenschaftliche
Fakten produzieren? Warum schließt sich die wissenschaftliche
Debatte nicht? Sollen wir auch ohne absolute Gewissheit handeln? Rasch
entsteht auf der Bühne des Theaters die Welt des
"Anthropozän", einer Welt, die von einer Spezies
beschädigt wurde, deren profanes Ende durch bunte
PowerPoint-Präsentationen verkündet wird. Bruno
Latour, geb. 1947 in Beaune, Philosoph, Anthropologe und Soziologe,
lehrt an der Science Po, Paris. Neben ethnographischen Studien in den
Bereichen Wissenschaft, Technik und Recht publizierte er zahlreiche
Schriften zur Philosophie und Geschichte der Wissenschaften, zur
Wissenschaftspolitik und politischen Ökologie und kuratierte
am ZKM Karlsruhe zwei Ausstellungen: "Iconoclash" (2002) und "Making
Things Public" (2005).
"Letzte
Lockerung" Ein
Handbrevier für Hochstapler und solche die es werden wollen intermedium
056 Stimme:
Dirk von Lowtzow Serner schrieb die Letzte Lockerung 1918. 1920 veröffentlichte er den ersten Teil als dadaistisches Manifest. Erst 1927 kam ein weiterer Teil dazu und das Werk erhielt seinen Untertitel. Die Letzte Lockerung bietet Hinweise zu allem, worüber Kosmopoliten informiert sein sollten, darunter Menschenkenntnis, Reisen und Hotels, Männer, Frauen, Kleidung und Manieren, Elementares und Sonderlich Wichtiges. Ein Ratgeber für Dandytum und anarchischen Hedonismus, der Schlaglichter auf eine moralisch verkommene Gesellschaft wirft und die Individualität feiert. Walter Serner, ursprünglich Walter Eduard Seligmann (Karlsbad 1889-1942 Maly Trostinez, deportiert und ermordet), Schriftsteller, Individualanarchist; gemeinsam mit Hugo Kersten und Emil Szittya Herausgeber der Zeitschrift 'Der Mistral', 1915 (Zürich), und Herausgeber der Zeitschrift 'Sirius' (Zürich) 1915-1916; mit Otto Flake und Tristan Tzara Redaktion der Zeitschrift 'Der Zeltweg' (Zürich), 1919; 1917-1920 Dada-Aktivitäten in Zürich, Genf, Paris; 1921 Bruch mit Dada. Veröffentlichungen: Letzte Lockerung; Manifest Dada (Hannover, Leipzig, Wien, Zürich: Paul Steegemann Verlag. Die Silbergäule 62/64. 1920); Zum blauen Affen. Dreiunddreißig hahnebüchene Geschichten (Hannover, Leipzig, Wien, Zürich: Paul Steegemann Verlag. Die Silbergäule 91/98. 1920); Die Tigerin. Eine absonderliche Liebesgeschichte (Berlin: Elena Gottschalk 1925)
"Die
Schutzbefohlenen" Hörspiel intermedium
062 Mitwirkende:
Matthias Haase, Christoph Jöde, Bettina Lieder, Jonas Minthe,
Janina Sachau Chorist
1: Jonas Minthe "Wir sind gekommen, doch wir sind gar nicht da", sagt der Chor in Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen. Obwohl sie in jüngster Zeit überall präsent sind, die Bilder von Flüchtlingsmengen, die sich auf Booten drängen und unter Lebensgefahr die Festung Europa zu erobern suchen, oder von aufbegehrenden Asylbewerbern in deutschen Städten, die auf öffentlichen Plätzen in den Hungerstreikt treten, um auf ihre problematische Behandlung aufmerksam zu machen; Stimmen haben diese Menschen selten. Anders in Jelineks Text: Hier meldet sich ein Chor aus Flüchtlingen und Asylsuchenden in einer lautstarken Litanei zu Wort und wird doch ungehört bleiben von den Angerufenen. Geschrieben als Reaktion auf jüngste Asylproteste in Wien, wo eine Gruppe von Flüchtlingen die Votivkirche besetzte, und später durch Zusatztexte zur Flüchtlingssituation auf Lampedusa erweitert, überführt Elfriede Jelinek in Die Schutzbefohlenen das Tagespolitische ins uralte Menschheitsdrama von Flucht und Abweisung: Die puzzleartig aufscheinenden aktuellen Ereignisse verweben sich mit anderen Texten und Diskursen, unter anderem mit Die Schutzflehenden des Aischylos. Aus den Schutzflehenden in der ältesten bekannten griechischen Tragödie werden aber vor dem Hintergrund von aufgeklärter westlicher Welt und vermeintlich allgemein gültigen humanistischen Werten die Schutzbefohlenen: also diejenigen, denen man verpflichtet ist, Schutz zu geben. Und es wird die Verweigerung dieses Schutzes nicht weniger als zum Verrat am Menschenrechtsgedanken selbst. Es ist nicht zuletzt die Entlarvung solchen Verrats, um den es im einmal devoten, einmal spöttischen und auch wieder sehr resignierten Chor der Schutzbefohlenen geht, in den sich auch andere Perspektiven mengen. In die Stimmen der Schutzsuchenden nisten sich die der Gegner und die von Ausnahmeerscheinungen, denen aus politischer Gefälligkeit, wegen "besonderer Verdienste" oder einfach nur wegen ihrer Prominenz Sonderbehandlung zuteil wird. "Der
immanente Agon von Rede und Gegenrede, von projizierter Rede und
wiederholter Rede, den Fremden in den Mund gelegter Rede macht den
Verrat am Menschenrechtsgedanken in den westlichen Gesellschaften
deutlich, ob es sich um Österreich, Deutschland oder anderswo
handelt: 'Und wenn sie erst mal da sind, liegen sie uns auf der
Tasche', diese Asylbewerber, 'das werden wir verhindern'. Im Chor sind
alle Stimmen da, neben Hölderlin die xenophobische von
Gierbürgern und sogar eine vom Heideggervokabular
überformte, deformierte (…). Die Jelineksche
Sprache bewirkt das im Heideggerschen Sinne Eigentliche:
Sie macht in den Variationen der Prätext-Zitate, den
Umdrehungen und Wieder-Umdrehungen sprachlicher Verdrehungen die zu
bloß papierner Wahrheit in den Köpfen der
Bürger (auch der Politiker als Bürger) verkommene
Schutzpflicht des Staates sichtbar, die der Staat gerade denen
gegenüber hat, denen die Verwirklichung der Menschenrechte
schon in ihren Heimatländern vorenthalten bleibt: Die
Schutzbefohlenen finden auch in den Ländern keinen Schutz, die
die Menschrechte immerzu anderswo einklagen, weil sie ja bei ihnen
angeblich verwirklicht sind."
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